Das traditionelle Mandala – Mandalay Yoga

Das traditionelle Mandala

In den Jahren 2011 bis 2013 lebte ich in Nepal. Dort unterrichtete ich nicht nur Yoga, sondern leitete Retreats durch das Himalaya-Plateau und versenkte mich ebenso in der Kunst des traditionellen Mandala Malens. Zudem erschuf ich eine nachhaltige Yoga-Kollektion aus Naturstoffen und wollte dort leben, wo Yoga seinen Ursprung hat. Nepal war nicht das erste Land, das mich im Namen des Yoga zu sich zog, doch es war schon bei meinem ersten Besuch so speziell, dass ich beschloss, dort eine Weile zu leben, einen Alltag zu haben, zu arbeiten und dabei voll und ganz Buddhismus und Hinduismus zu erleben. 

Damit alles rund wird, befasste ich mich intensiv mit der Kunst des Mandala-Malens, tauchte ein in einen traditionellen Kreis aus Kultur, Religion, Yoga, Meditation und Mystik.

Der Weg zum Mandala 

Mandala ist Kunst, auch Kunst von Zeit und Qualität, etwas, das uns in unserer westlichen Kultur abhanden gekommen zu sein scheint. Schon allein die Suche eines geeigneten Mandala-Lehrers dauerte gefühlte Wochen. Das war eine gute Entscheidung, denn mithilfe der Kunst über Vollendung bis zur Versenkung zu kommen, sollte auf traditionelle Weise geschehen.

Umgeben von verschiedensten Gerüchen und den Klängen der tibetischen Musik, die überall aus den Geschäften tönt, fand ich das kleine Mandala-Atelier, was zugleich auch als Ausstellungsgeschäft diente. Versteckt in einer Ecke am Rande von vielen Gassen und Geschäften, umzingelt von Hinterhöfen, lernte ich die Kunst des Mandala-Zeichnens. Doch zunächst zeichnete ich wochenlang nur Skizzen, was mich schnell langweilte und sehr mühselig war.

Tag ein, Tag aus immer wieder die gleichen symbolischen Muster, die zwischen meinen Yogakursen und weiteren Geschäftsterminen wiederholt wurden. Alles von vorn, immer wieder neu, immer weiter, immer dasselbe Muster. Mein Geist wollte Neues aufsaugen und kam mit der Eintönigkeit nicht gut klar.

Ein traditionelles Mandala entsteht

Das Zeichnen war müheselig und allmählich gingen mir dabei Interesse, Lust und Laune flöten, denn ich wollte endlich mit dem traditionellen Mandala beginnen. Mittlerweile hatte ich den Schwung doch raus, dachte ich. Hier zeigte sich der europäisch trainierte Geist, der dazu erzogen wird, alles so gut wie möglich und in Bestzeit zu beherrschen.

Doch allmählich verstand ich, was da in mir geschah. Beim Zeichnen dieser feinen Linien und religiösen Ornamente bekam ich zunehmend ein Gefühl von Vertrautheit und driftete in eine Art Zen-Zustand. Die typischen Malvorgänge wurden mir immer vertrauter und ich konnte erkennen, dass ich schon fast automatisch kreiste und auf nahezu mathematische Weise die Abstände für jeden Bereich beherrschte.

Ein traditionelles Mandala muss ewig geübt werden

Unzählige Mandala-Kreise „mandelte“ ich ein, füllte sie mit tibetischer Wolkenzeichnung und Feuersymbolen aus. Alles sah, vom Meister vorgemacht, so einfach aus – kurz zugesehen und losgelegt. Aber es war gar nicht einfach! Manchmal war recht viel Fantasie notwendig, um eine Wolke oder ein Feuersymbol in meinen Skizzen zu erkennen.

Doch schließlich führten diese trockenen Übungen den regen Geist in mir zum Einklang mit der tibetischen Musik, die stets von draußen herein klag. In mir wuchs das Gefühl, das neben Yoga und Meditation das Üben von endlosen Zeichnungen das Beste ist, was echte Achtsamkeit und Zen- Momente schenken kann.

Der Effekt war mehr und mehr spürbar, immer öfter wurden die Übungen zu meinem Meister. Langsam war mir auch nicht mehr langweilig, das würzige asiatische Räucherwerk, das aus allen Ecken meine Sinne erweckte, wenn ich vertieft in das Zeichnen meiner Skizzen war, der Einklang mit der Musik aus den entlegenen Geschäften beflügelten meinen Geist und meine Skizzen nahmen immer mehr Gestalt an.

Es störte mich nicht mehr, jeden Tag aufs Neue dieselben Lieder zu hören und selbst die Rufe der Obstverkäufer, die ihre Ware anboten, nahmen auf subtilste Weise meine Aufmerksamkeit gefangen und ließen mich jeden Moment einfangen.

Der Prozess der Mandala Vollendung

Mit der Einnahme einer Sitzhaltung im Lotus- bzw. Schneidersitz auf dem Boden ist fast automatisch klar, dass es dem Sitzenden schnell kalt wird, so wechselten wir immer ab, zwischen Fußboden und Hocker. Wir malten meist schweigend und konzentrierten uns mithilfe des heiligen Duftes vom Räucherwerk auf eine sehr disziplinierte Weise.

Simultan saßen wir an zwei Mandalas, einzelne Malschritte wurden zwischendurch in der religiösen, philosophischen sowie kulturellen Bedeutung vom Meister erklärt, wenn ich nachfragte. Selbst das Schlürfen des klassischen Milchtees vollzogen wir irgendwann synchron. Fast immer war es kalt, wenn wir still vor der Skizze saßen, denn die Himalaya-Region ist ein robuster Ort, weswegen dort auch immerzu Milchtee getrunken wird. Eine Wohltat, wenn die Hände von den stetig gleichen Bewegungen der Mandala-Ornamente fast eingefroren sind.

Im Anschluss und auch während der jeweiligen Sessions erfolgten unendliche Gespräche über die Religion, den Buddhismus, die Kunst, den Grund der Ausübung des Mandala-Malens und über den Unterschied der kulturellen Tradition von Ost und West. Dabei stellten wir immer, ausgehend von der allumfassenden Bedeutung des Mandalas, gravierende Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten fest.

Ich glaubte es kaum, aber nach einer sehr langen Übungsphase geschah ein Wunder. Ich wurde in das Walken und Grundieren des Rhe-Shi (Stoff, der nach alter tibetisch-nepalesischer Tradition straff in einen Holzrahmen gezogen wird) integriert. Endlich etwas Neues machen! Dennoch erwartete mich auch jetzt wieder ein Werk, das sehr mühevoll und arbeitsreich, dazu noch unsagbar schweißtreibend ist. Die Arbeit des Rhe-Shi kann bis zu 3 Tage dauern, auch hier ist wieder alles ein Prozess, bei dem viel Geduld notwendig ist.

Der Geist verändert die Perspektive

Von nun an durften die langen Übungswochen behutsam auf dem getrockneten Rhe-Shi getestet werden. Alles, was in den Wochen zuvor per Skizze erlernt wurde, durfte nun genau, fein und filigran auf das Canvas gezeichnet werden. Höchste Konzentration ist erforderlich, um auf dem sogenannten Doppelrahmen den eigentlichen Mandala-Malprozess zu beginnen.

Erstaunlicherweise verstand ich durch diese lange Zeit des Übens die Bauwerke der Stadt und die gesamte Kultur immer besser. Ich begann die Architektur der Stadt zu verstehen, besuchte immer wieder die Stupas Boudhanath und Swayambhunath, die allmählich ein Aha-Erlebnis in mir wachriefen, da diese kulturellen Bauwerke nach dem Prinzip eines Mandalas erbaut wurden.

Von den Bauwerke zum traditionellen Mandala

So ertappte ich mich in meinem Alltag in Kathmandu, Patan, Boudhanath und Bhaktapur dabei, dass ich in allen Bauwerken die Perspektive des verinnerlichten Mandalas erkannte, was meine Sichtweise auf die Bauwerke veränderte. Denn überall beherbergt das Land im Himalaya großartiges historisches Gut, uralt, aber anmutig in Form und Wirkung.

Ich war täglich an jenen Orten, unterrichtete dort Yoga und konnte mir keinen besseren Ort dafür vorstellen, als umgeben von Tempeln und heiligen Anlagen, im Schmelztiegel des Buddhismus und Hinduismus, im Geburtsland von Gautama Buddha. Oft kam ich zurück zu dem Kunstwerk, das zwar langsam Form annahm, doch irgendwie hatte ich immer das Gefühl, nichts sei geschafft, die Wochen und Monate vergingen und ich malte und zeichnete hochkonzentriert 5 Tage die Woche, wurde aber nie fertig.

Warum war das so? Irgendwann erkannte ich: Es geht gar nicht um das schnelle Fertigstellen. Der Prozess ist das, was ein Mandala ausmacht. Unser westlicher Geist ist darauf trainiert, effizient, schnell, qualitativ, optimal, fehlerfrei und ad hoc alles fertigzustellen. Von „Geduld“ und „mit Zeit“ braucht man bei uns niemandem etwas erzählen.

Das traditionelle Mandala ist ein Prozess

Mein Mandala jedoch schien stetig gleich auszusehen, obwohl ich in täglicher Sitzung, Tee schlürfend, am Canvas meine Zeit verbrachte. Der Weg war wohl auch hier das Ziel. Immer mehr verstand ich, dass es nicht um das Mandala selbst ging, sondern um das Im-Moment-Sein.

Ich spürte, dass man im Moment, im Bild, in der Linie, da alles so fein ist, keine Fehler machen darf, sonst wäre alle Arbeit binnen Sekunden ausgelöscht. Nach dieser Erkenntnis hat mich das Mandala für sich gewonnen. Ein Mandala erfordert sehr viel Zeit, doch was noch wichtiger ist: Es fordert unsere Konzentration. Jeder einzelne filigrane Pinselstrich muss so präzise und achtsam ausgeführt werden, dass oft nur das Luftanhalten hilft, um sich zu konzentrieren und alles andere loszulassen.

Die Übung, die Zeit und der Prozess brachten mir unsagbar viel Erkenntnis, Verständnis und eine völlig neue Fingerfertigkeit entstand. In der Mandala-Kunst steckt so viel Detailarbeit, Zeit und Lebensenergie, das diese Form der Kunst für mich eine Art Lebensprozess darstellt.

es ist vollendet

Meiner Ansicht nach ist ein Mandala wie ein Leben oder ein Projekt, das geboren wird. Im Prozess des Werdens wird dann alle Energie gebraucht, die volle Achtsamkeit gefordert, um die Essenz des Jetzt im Mandala sichtbar zu machen. Wir können dabei unserem eigenen Wandlungsprozess beim stetigen Wachsen in Reinform zusehen.

Das Mandala ist vollendet

Faszinierend war für mich, zu erfahren, zu erleben und zu erspüren, wie lange so ein Kunstwerk tatsächlich braucht. Ich habe in der Zeit in Nepal zuvor viele Mandalas betrachtet, mit vielen Menschen darüber gesprochen, unterschiedlichste Formen und Arten entdeckt, doch nie erahnt, dass eine solche Detailarbeit dahintersteckt, die derart pure Konzentration kostet. Im Mandala-Kreis webt sich die gesamte gebündelte Energie des Schöpfers in das Kunstwerk mit ein.

Das Ziel ist nicht das fertige Kunstwerk, sondern der Weg dorthin und damit das Bewusstsein, dass an nichts Weltlichem festgehalten werden kann, sondern nur am JETZT. Alles im Leben kommt aus einer Quelle, wandelt sich und es beginnt ein neuer Anfang. Alles ist Erschaffen und Vergehen, nichts ist stetig und von Dauer.

Verdeutlicht wird dies sehr schön in der Kunst des Sandmandalas. Berühmt wurden Mandalas durch die tibetischen Mönche, die in wochenlanger, akribischer Arbeit aus feinem farbigen Sand riesige Sandmandalas herstellen. Wenn solch ein Sandmandala im Gesamtwerk vollendet ist, wird es danach wieder zerstört. Ein Neues beginnt zu entstehen.

Wie magisch solch ein Kunstwerk ist! Ein Objekt, das formvollendet den Geist als Werkzeug zur religiösen Versenkung beflügelt, das mit Hand und Atmung den Moment bündelt. Der Prozess des Malens findet von außen nach innen statt, so wie auch alle unsere Antworten im Inneren zu finden sind, denn nach Innen führt der geheimnisvolle Weg.